Professor Wilhelm Salber ist am 2. Dezember 2016 im Alter von 88 Jahren verstorben. Wilhelm Salber kann als Wegbereiter der tiefenpsychologischen Marktforschung gelten – einer Strömung der qualitativen Marktforschung, die in Deutschland und zunehmend weltweit Bedeutung erlangt hat.
Wir bei concept m trauern um den Begründer der Morphologischen Psychologie, die für unser Forschungs- und Beratungsinstitut die zentrale wissenschaftliche Orientierung darstellt.
Professor Salber hat mit der Morphologie eine komplett eigenständige Psychologie-Theorie vorgelegt, was sowohl in der nationalen wie internationalen Universitätslandschaft sehr ungewöhnlich ist. Wilhelm Salber hat dabei die Morphologische Psychologie als eine konsequente Neukonzeption der Tradition der Tiefenpsychologie von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung angelegt.
Die Morphologie ermöglicht uns, auf ganz andere Weise, eben aus der entschieden psychologischen Perspektive, auf die Phänomene des Alltags und Konsumalltags zu schauen. In den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Lebens, der Produktnutzung und der Kaufrituale stecken verborgenen Sinnstrukturen, die uns die Morphologische Methode systematisch und zuverlässig entschlüsselt. So wie wir als Morphologische Marktforscher die geheime Logik der Märkte dechiffrieren, können wir das nur, weil wir auf die radikale andere und neue Sicht der Alltagspsychologie von Wilhelm Salber zurückgreifen können.
Wilhelm Salber war sowohl ein disruptiver als auch ein konstruktiver Denker. Er hatte das Glück , ein Wunderkind zu sein – mit universellen Interessen und Begabungen in den Bereichen Literatur, Film, Kunst, Philosophie und Psychologie. In der Aufbauzeit der deutschen Universitäten der 50er und 60er Jahre hatte er die Freiheit und Ressourcen, sein Wissenschaftsprojekt der morphologischen Psychologie in einer ‚splendid isolation’ entschieden und ohne akademische Kompromisse voranbringen zu können. Anders als in dem häufig kurzatmigen akademischen Betrieb, in dem Karrieren auch einmal damit gemacht werden, Teiltheorien von Teiltheorien umzuformulieren, hat Salber mit geduldiger und beharrlicher Arbeit ein komplett eigenständiges Theoriegebäude errichtet. Seine Quellen und Vorbilder waren dabei die Ganzheits- und Gestaltpsychologie, die Psychoanalyse und die Phänomenologie.
Die Überzeugung, dass Psychologie von ganzheitlichen und gestalthaften Sinnzusammenhängen ausgehen sollte, hat Salber zu einem radikal disruptiven Standpunkt gegenüber dem vom behavioristisch experimentalpsychologisch und kognitiv dominierten Mainstream der akademischen Psychologie veranlasst. Disruptiv und zugleich konstruktiv entwickelte sich seine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse. Kritisch eingestellt gegenüber ihren „entäußernden“ Darstellungen von Trieben, Energien und Dampfmaschinenmetaphern, stellte er den Diskurs über das Unbewusste gewissermaßen von dem Kopf auf die Füße. Statt vom Individuum auszugehen, geht die Morphologie von Handlungseinheiten und Alltagsformen aus, die überindividuell von Grundgestalten und ihren Wirkungsgesetzen bestimmt werden. Mit dem berühmten Morphologischen Motivhexagramm lassen sich die unbewussten Wirkungszusammenhänge phänomennah in einer lebendigen Alltagssprache rekonstruieren.
Die morphologische Psychologie zeichnet es besonders aus, dass sie die einzige Tiefenpsychologie ist, die ihre Einsichten aus einer Vielzahl von Anwendungsgebieten bezieht, die sich immer wieder gegenseitig befruchten. Alltagspsychologie, Marktpsychologie, Medienpsychologie, Kunstpsychologie, klinische Psychologie und Kulturpsychologie werden von der Morphologie als miteinander verknüpfte Perspektiven behandelt. Wilhelm Salber hat sie in seinem beeindruckend umfangreichen Werk von mehr als 35 Büchern systematisch durchgearbeitet. Die inzwischen mehreren Generationen von Morphologischen Psychologen haben die verschiedenen Anwendungsfelder weiter vertieft.
Auch wir von concept m können auf dem Vorteil der Morphologischen Psychologie aufbauen, scheinbar unzusammenhängende Felder im Zusammenhang zu sehen. Weil wir die Wirkungszusammenhänge der Kunst, der Kultur und der Medien als Lehrmeister der Psychologie begreifen, erweitert sich auch unsere psychologische Perspektive auf und unser psychologisches Verständnis von den Märkten, Marken und Produkten.
Insbesondere die morphologische Kulturpsychologie ist eine Säule für morphologische Marktanalysen. Nach Wilhelm Salber sind Gesellschafts- und Markt-Trends nicht einfach nur Zeitgeist-Phänomene. Vielmehr sind die Trend-Gestalten, die der Marktforschung jeden Tag begegnen, wie beispielsweise der Hipster in der Werbung, der Smart-Watch-Nutzer mit Optimierungsstress, der Protestwähler in seinem Medientunnel oder der Manga-Stil als Ventil in den asiatischen Gesellschaften, als Symbol und Ausdruck übergreifender Kulturverwandlungen zu verstehen.
Die ungebrochene Neugier und die Lust, den tieferen Sinn der Forschungsgegenstände zu erschließen, sind immer der Antrieb der morphologischen Psychologie von Wilhelm Salber gewesen. Dieses Erbe bleibt für die morphologischen Marktforscher Anspruch und Verpflichtung.
Autor: Dirk Ziems