Der OTC-Markt wandelt sich. Die Käufer von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten sehen sich selbst immer mehr als Konsumenten statt als Patienten. Zudem informieren sie sich viel öfter selbst über solche Produkte als in früheren Zeiten, in denen man auf den Rat des Arztes oder Apothekers (oder vielleicht noch eines Familienmitglieds) vertraute. Und das Wettbewerbsumfeld von OTC-Produkten erweitert sich: Reichte es früher, sich mit der Konkurrenz in der Apotheke auseinanderzusetzen, bieten heute zunehmend auch Drogeriemärkte und der Lebensmitteleinzelhandel Gesundheitsprodukte an. Auf diese Entwicklungen müssen die Hersteller und damit auch ihre Dienstleister – wie die von „Pharma Relations“ befragten Marktforscher und OTC-Experten aus Kommunikationsagenturen – reagieren. Muss sich die OTC-Industrie stärker als bisher an Marketing und Kommunikation der schnell drehenden Konsumgüter orientieren?
Aus dem Wandel im Selbstverständnis der früheren Patienten zu Konsumenten ergeben sich für Rochus Winkler, geschäftsführender Gesellschafter des Marktforschungsunternehmens concept m research + consulting, dass die OTC-Käufer nicht mehr „blindlings annehmen, was ihnen vorgeschrieben wird“, sondern sie seien zunehmend informiert, anspruchsvoll und kritisch, denn Informationen rund um OTC- Präparate seien leicht zugänglich, insbesondere über digitale Kanäle. Dadurch würden aber auch die Positionierungen von OTC-Produkten komplexer, woraus auch mehr Möglichkeiten für die Marktforschung resultierten. „Krankheit ist psychologisch gesehen nicht nur ein unverschuldetes ‚Schicksal‘, sondern im Erleben der Verbraucher oftmals die Konsequenz eines ungesunden Lifestyles; man hat sich nicht genügend ‚um sich selbst gekümmert‘, sagt Winkler.
Um als OTC-Marke vor diesem Hintergrund erfolgreich zu sein, müssten die geforderten Informationen und Benefits rundum Präparate nicht nur transparent, verständlich und überzeugend angeboten werden, sondern es gehe auch darum, gleichzeitig emotionale Welten zu eröffnen – zum Beispiel die stimmungshafte Vermittlung von Entlastung und Absicherung (für das Gewissen) in der Kommunikation, auf den Packungen und im gesamten Marketing-/Vertriebskontext. Insbesondere die tiefenpsychologische Marktforschung könne hier ihr volles Potenzial zur Geltung bringen, um die tiefliegenden Sehnsüchte zu entschlüsseln und Empfehlungen für das Marketing abzuleiten.
Winkler empfiehlt der Industrie aber auch, trotz aller Bemühungen um den Konsumenten den Apotheker nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn während sich der Patient zum mündigen Konsumenten entwickele, entwickele sich in den Apotheken parallel ein „Leiden“: Die mündigen Verbraucher würden Apotheker oft als „Verkäufer“ abstempeln, ohne dass der Apotheker seine pharmakologische Expertise in der Beratung einbringen könne.
Die „Marke“ wird wichtiger
Gleichzeitig führt das Selbstverständnis des OTC-Käufers als Konsument auch dazu, dass das Thema „Marke“ für die Hersteller immer wichtiger werde, sagt Baus. Auch im OTC-Markt werde sich der Konsument an „Marken“ orientieren und nach ihnen Ausschau halten. Er nennt aber auch einen gravierenden Unterschied zum FMCG-Bereich: Während beispielsweise eine Marke wie „Coca-Cola“ positiv besetzt sei und u.a. für Lebensfreude und intensiven Genuss stehe, sei die Marke bei vielen OTC-Produkten mit dem Begriff „Unwohlsamkeit/Krankheit“ besetzt. „Der OTC-Käufer erwirbt seine ‚Marke‘, wenn es ihm körperlich nicht so gut geht bzw. wenn er erste Zeichen einer Erkrankung erkennt. Nur wenige Marken im OTC-Markt haben es bisher geschafft, diese negative Eigenschaft ‚Krankheit‘ abzulegen.“
Von einem „kategoriellen Unterschied“ spricht auch Anna Waasem, Psychologische Projektleiterin Pharma bei concept m: „FMCG-Marken sprechen oftmals wünschenswerte Lifestyles und Werte an, die uns das Gefühl geben, mit diesen Marken und Produkten kann ich unabhängiger, freier werden, mich also besser selbstverwirklichen. Das ist ein tolles Gefühl und weckt Neugierde und Begierde, deshalb kann man auch von einem Selbstverwirklichungsmarkt sprechen.“ OTC stehe dagegen hintergründig per se für ein Leiden oder einen Mangel, den man ausgleichen muss, um wieder betriebsfähig und alltagstauglich zu sein. Hier würden also Schwächen kompensiert, die einem lästig seien. In der Marktforschung spricht man von einem kompensatorischen Basismarkt. Außerdem seien die Verbraucher mit OTC-Marken nur in bestimmten Situationen oder zu bestimmten Jahreszeiten – und seltener als mit FMCG – in Kontakt. „Auf Basis dieses Hintergrunds ist leicht zu erkennen, dass wir uns lieber mit ‚Selbstverwirklichungs‘-Marken beschäftigen, auseinandersetzen und diese letztlich besser erinnern bzw. ausgeprägter beurteilen können.“ Was noch durch einen weiteren Faktor unterstützt werde: Im FMCG-Markt wird weitaus mehr in Werbung investiert als im OTC-Markt.
Über diese Erlebbarkeit zu gehen, sei heutzutage aber schwieriger als früher, meint Lebok. Denn die nachwachsenden Zielgruppen seien auf anderen Kanälen unterwegs. Es gehe immer darum, ob man als Marke sein Leistungsversprechen halten könne oder ob sie so aufgeladen sei, dass sie über einen eingängigen Claim und mit einem klaren Nutzen an den Stellen der Customer Journey, also der „Entscheidungsreise“ des Käufers, präsent sei und dann auch die Wahrscheinlichkeit höher sei, dass der Konsument bei Produkt oder Marke A schneller zugreift als bei B oder C.
Die Kontaktpunkte auf dieser Customer Journey richtig zu identifizieren, ist unverzichtbar – und noch wichtiger wird es deshalb, weil Produkte und Marken aus der Apotheke zunehmend auch im Wettbewerb mit entsprechenden Produkten/ Marken aus dem Drogeriemarkt und dem Lebensmitteleinzelhandel stehen. „OTC-Hersteller sollten nach wie vor für sich feststellen und regelmäßig aktualisieren, welche Produkte den Wettbewerb genau ausmachen und wo die Käufer tatsächlich mit der eigenen Marke und den Wettbewerbern in Kontakt treten“, so Winkler. „Es ist also für die Marktforschung der jeweilige ‚Frame of Reference‘ pro Produkt zu definieren: Wie sieht die Customer Journey aus? Und wie gestaltet sich der enge apothekenpflichtige und wie der weitere Wettbewerb?“
Winkler spricht von einer „neuen Komplexität“, auf die sich OTC-Hersteller und Marktforscher einlassen müssen. Man habe es mit eine „hybriden Käufer“ zu tun, der sich online und offline informiert, entschei- det, kauft und sich beraten lässt. Zwischen offline und online werde nicht mehr so stark unterschieden, sondern die virtuelle und die reale Welt seien eins geworden. Die Situation habe insbesondere für die Beforschung der Customer Journey eine hohe Relevanz.
Den vollständigen Artikel können Sie in der Novemberausgabe der Pharma-Relations lesen.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Thomas.ebenfeld@test.local, rochus.winkler@test.local oder anna.waaseem@test.local