"Protest auf dem Level von Kleinkindern"

28.06.2023
Dirk Ziems

Diane Hielscher:

Die Proteste der Letzten Generation gehen ‚normalen Menschen‘ auf die Nerven habe ich dieses Wochenende bei Tagesschau.de gelesen. In Berlin läuft ja gerade eine große Aktion der Gruppe ‚Letzte Generation‘ – wer weiß wie lange noch – die Mitglieder haben sich auf jeden Fall vorgenommen die ganze Stadt lahmzulegen – immer mal wieder – um ihren Forderungen für mehr Klimaschutz Nachdruck zu verleihen.

„Es sind unglaublich viele aus ganz Deutschland nach Berlin gefahren und das ist gerade das, was zählt. Dass Leute jetzt den Mut ergreifen auf die Straße zu gehen. Und das wichtige ist, dass wir uns klar machen, dass es jetzt gerade darum geht, was wir tun. Dass wir keine Zeit mehr haben abzuwarten“, sagt die Sprecherin der letzten Generation, Carla Rochel.

Die Blockaden haben tatsächlich auch, wir haben es in den Nachrichten gehört, zu vielen Staus geführt. Jetzt könnte man sagen, ja gut, wenn es mal einen Unfall gibt, dann ist auch Stau, wenn gestreikt wird, dann ist auch Stau, wenn Schnee liegt, ist auch Stau, oder wenn es irgendwo einen Wasserrohrbruch gibt, dann ist auch Stau. Trotzdem ist dieser Stau etwas anderes. Die Menschen reagieren aggressiver als in anderen Fällen, diese ganze Sache ist wahnsinnig emotional, macht Menschen viel viel wütender als alle anderen Themen. Und warum das so ist, das wollen wir besprechen mit Dirk Ziems, er ist Psychologe und Gesellschaftsforscher und untersucht, wie die Menschen in Deutschland zum Klimaschutz stehen und was es da eben für einen Zusammenhang gibt. Guten Morgen erstmal.

Dirk Ziems:

Guten Morgen.

Diane Hielscher:

Die Gruppe ‚Letzte Generation‘ fordert mehr Klimaschutz, also eigentlich etwas, das jetzt nicht so radikal ist. Wieso haben so viele Menschen kein Verständnis?

Dirk Ziems:

Ja, es ist so: Die ‚Letzte Generation‘ repräsentiert gewissermaßen das schlechte Gewissen. Sie macht darauf aufmerksam, dass die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichen. Insofern ist sie wie ein Stachel im Fleisch oder nagender Zweifel und auch Wiederkehr des Verdrängten.

Aber der Mainstream der Bevölkerung ist müde immer wieder mit dem Klimaanliegen konfrontiert zu werden. Und die Menschen sind auch müde, immer wieder für das eigene schlechte Verhalten angeklagt und angefeindet zu werden.

Diane Hielscher:

Also würden Sie sagen das ist auch generell die Stimmung in Sachen Klimaschutz? Einfach kein Bock mehr auf Klimaschutz?

Dirk Ziems:

Diane Hielscher:

Ja, die Bevölkerung ist da gespalten. Also einerseits gibt es eine Ahnung davon, dass wir eine neue Phase eintreten. Also die Phase der Ankündigungen, dass man sagt „bis 2045 wollen wir CO2-frei sein“, hat sich inzwischen überlebt. Jetzt geht es darum, konkret etwas zu bewerkstelligen und konkret auch die Sachen umzusetzen. Aber das ist eben schwierig, weil die Bevölkerung da eher nur halbherzig mitmacht. Sie zieht bei der Transformation nicht wirklich entschieden mit.

Wir erleben in unseren Interviews, dass der Mainstream eher so einen ‚Feel-Good- Klimaschutz‘ haben will, so ein bisschen umsteuern, aber im Oster-Urlaub wieder nach Mallorca fliegen. So ein bisschen Plastik vermeiden, aber auch auf das Auto nicht verzichten und auch mal mit 180 über die Autobahn rasen.

Diane Hielscher:

Sie als Psychologe werden ja wahrscheinlich auch dieses Selbstwirksamkeit-Ding kennen, dass man das Gefühl hat, na ja, ob ich jetzt hier ein Steak weniger esse oder nicht, ist ja nicht das Problem, wenn quasi – was ich ganz oft höre – die Politik nicht schnell genug ist. Also vielleicht ist es auch dieses „meine Taten haben nicht so einen weitreichenden Einfluss wie die Wirtschaft / die Politik.

Dirk Ziems:

Ja! Das ganze Thema Klimaschutz ist wie so ein Verschiebe-Bahnhof, man kann immer auf die Anderen zeigen, „Whataboutism“ wird das ja auch genannt. Also „in China werden ja so viele Kohlekraftwerke neu gebaut, was bringt das ganze schon?“.

Aber aus der Haltung kommt natürlich nie was in Bewegung und da sind natürlich die Klimaaktivisten von der Letzten Generation so die Pressure-Group, die eben halt auch mit dem Finger immer darauf zeigt und den Finger in die Wunde legt.

Wir wollen ja konstruktiv bleiben, was müsste denn passieren, was müssten wir denn alle machen, irgendwie keine Ahnung, die Politik aber auch Sie, ich, keine Ahnung, alle Menschen, damit man nicht mehr so genervt ist?

Dirk Ziems:

Naja, es ist erstmal ein Problem der ‚Letzten Generation‘. Sie praktizieren Protestform eher auf dem Level von Kleinkindern im Trotzalter. Also schauen wir uns das jetzt an, Autobahn- Kleben und die Museumsaktion. Aus Sicht der Normalbürger entspricht das Formen wie sich auf den Boden schmeißen, mit Essen kleckern, plumpe Erpressung, um seinen Willen durchzubekommen, also genau das, was Zwei- oder Dreijährige tun.

Daraus ergibt sich das Problem, dass die Klimaaktivisten durch ihre Formen der Proteste eher sich selbst und ihr Anliegen diskreditieren und unglaubwürdig machen.

Wir haben manchmal den Eindruck die Klimaaktivisten bräuchten ein Kommunikations- und Kreativ-Coaching, was ihre Aktionen angeht. Also denken wir zum Beispiel zurück an die 68er, da waren die Aktionsformen von der damaligen Aktionskunst inspiriert, Joseph Beuys hat 8000 Bäume gepflanzt bei der documenta in Kassel, die Klimaaktivisten haben jetzt dagegen einen Baum im Regierungsviertel gefällt, um auf die Abholzung aufmerksam zu machen – wer will da noch mitgehen?

Diane Hielscher:

Ja gut, aber ganz kurz mal, der Klimawandel ist ja nicht nur Problem der ‚Letzten Generation‘, der Klimawandel ist ja unser aller Problem. Also warum müssen die jetzt Marketing machen für irgendwas? Also eigentlich müssten wir doch alle morgens aufstehen und sagen: „Okay, was mach‘ ich heute?“

Dirk Ziems:

Richtig. Aber um da etwas in Bewegung zu setzen und nicht die Debatte in die Spaltung zu

führen, was aktuell eher geschieht durch diese Aktionen, brauch es eben mehr motivierende Bilder, braucht es auch mehr einen Ausblick, wie das produktiv weitergeht. Und das gelingt gerade nicht in der Debatte. Das ist eher so ein Straßenkampf der Narrative, der nicht weiterführt.

Sie sprechen jetzt so an: was ist der Ausblick, was könnte produktiv sein? Das wären eher Mitmach-Aktionen, das wären Aktionen auf kommunaler Ebene, die immer auch direkt ums Bewerkstelligen kreisen. Also wie kann man pendeln anders organisieren mit Fahrgemeinschaften, wie kann man Fernwärme organisieren, wie kann man Solarstrom organisieren, wie kann man Müllvermeidung organisieren? Da könnte ja eine Bürgerbewegung entstehen – die müsste aber wirklich wie eine Graswurzelbewegung ganz konkret und ganz an der Basis ansetzen.

Diane Hielscher:

Und da sind wir auf jeden Fall alle gefragt. Dankeschön, Dirk Ziems – er ist Psychologe und Gesellschaftsforscher und untersucht, wie die Menschen in Deutschland zum Klimaschutz stehen und wir können uns alle aber gegenseitig eigentlich inspirieren und darüber sprechen, was wir für geile Ideen entwickeln können, anstatt darauf zu warten, dass uns vielleicht heute jemand dazu überzeugt irgendwas für den Klimaschutz zu machen, weil dieses Problem Klimaschutz ja nicht nur das Problem ist der Leute, die sich auf den Boden schmeißen, wie wir eben gelernt haben wie Zwei- oder Dreijährige, die wiederum auch einfach ein Problem haben mit ihren Emotionen, wie so viele Menschen gerade. Aus Angst vielleicht.

Dirk Ziems
Dirk Ziems ist Experte für tiefenpsychologisches Marketing und berät auf Basis von Markt-, Medien- und Kulturforschung weltweit Unternehmen und Konzerne in zahlreichen Branchen und Ländern. Als Mitbegründer der Global Research Boutique Concept M und der Marketingberatung Flying Elephant begleitet er Themen wie die Adaption von Erfolgsprodukten in neuen kulturellen Kontexten, das tiefe Verständnis neuer Konsumgenerationen in China und USA, die Transformation der Werbekommunikation in der neuen digitalen Medienwelt oder die Neuorientierung der Brands in Post-Corona-Zeiten. Dirk Ziems ist auch als Gastdozent an verschiedenen Universitäten tätig.
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