Von dem Gestaltpsychologen Kurt Lewin stammt der Satz: „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.“ In die heutige Praxis scheint dieser Satz auf den ersten Blick nicht mehr zu passen. Wird doch die qualitative Marktforschung zu möglichst hoher Effizienz und großem Pragmatismus angehalten, die keinen Raum für langwierige Beschäftigung mit Grundlagentheorien zu lassen scheint. Welchen Wert hat die ‚graue Theorie’ auch schon für die wirkliche Praxis? Nachdem die Begeisterung für Theorien wie die Neuropsychologie oder Behavioral Economics etwas nachgelassen hat, scheint sich die Marktforschungscommunity aktuell lieber wieder der reinen Anwendungspraxis zuzuwenden.
Wir möchten hier gerne einen Gegenstandpunkt einnehmen. Wir haben die Auffassung, dass die qualitative Marktforschung eher mehr als weniger Auseinandersetzung mit der Grundlagentheorie gebrauchen kann. Wir möchten das mit einer kurzen Vorstellung der Theorie der Morphologische Marktpsychologie verbinden, die wir für eine der modernsten, praktischsten und bereicherndsten psychologischen Theorien halten, der sich die Marktforschung bedienen kann.
Was ist Morphologie? Die Morphologie studiert Struktur und Aufbau von Formen, und wie Formenbildung von statten geht. Das kann sich auf Naturformen beziehen wie bspw. die Entstehung und Verwandlung von Gesteinsformationen oder die Entwicklung von Flora und Fauna in ihren diversen Lebensformen. Schließlich lässt sich der morphologische Grundansatz auch auf die Psychologie anwenden, wenn Struktur und Aufbau von Erlebens- und Verhaltensformen beschrieben und rekonstruiert wird.
Welche Perspektive bringt die morphologische Psychologie für die Marktforschung ein? Auch Alltags- und Konsumformen sind lebendige Formen, die ihre eigene gestalthafte, dynamische Binnenlogik haben. Den Alltags- und Konsumformen ihre Eigenlogik abzuschauen und ihre strukturellen Baupläne zu rekonstruieren, hat für das Marketing einen großen praktischen Mehrwert. Denn qualitative Marktforschung leidet immer wieder darunter, über keinen soliden Einordnungshintergrund zu verfügen. Was in Interviews, Gruppendiskussionen, Collagen oder Community Chats qualitativ erhoben wird, wird sehr oft nur auf unsicherer Basis eingeordnet. Die qualitativen Verfahren erheben eine Riesenfülle an Phänomenen, beispielsweise eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Verwendungsformen und sich widersprechender Meinungen. Wie das erhobene Phänomenmaterial ausgewertet und systematisiert wird, bleibt oft relativ unbestimmt. Die Forscherpersönlichkeit entscheidet dann, wie die einzelnen Stimmen zu gewichten sind. Oder es wird einer bestimmten Aussage generell misstraut, weil sie den Eindruck macht, sie sei nicht wirklich so gemeint, sondern wohl eher aus dem Motiv der sozialen Erwünschtheit erwachsen. Der Auswertungsprozess wird dabei immer wieder unter die Deutungshoheit entweder der subjektiven Forscherpersönlichkeit gestellt oder des Konsenses der Gruppe der Forschungsbeteiligten.
Ein guter Gegenentwurf dazu ist es, wenn man über eine solide Theorie verfügt. Die Morphologische Marktpsychologie verfolgt die Theorie, dass man das Erleben und Verhalten der Konsumenten aus der Selbstregulation und Eigendynamik der Alltagsformen und Produktverwendungsformen heraus erklären kann. Und diese Produktverwendungsformen kann man nach einem bestimmten Auswertungsschema genau analysieren:
Die bewussten Geschichten, in denen sich die Produktverwendungsformen zeigen, weisen den Weg zu relevanten Grundqualitäten. Nehmen wir das Beispiel Hausputz: Dreckiges, Versifftes, immer wiederkehrende Reste, die Sisyphos-Mühsal, immer wieder den gereinigten Grundzustand herzustellen – all das macht aus, was wir beim Putzen erleben oder mit dem Putzen verbinden.
In den Verwendungsgeschichten zeigen sich weitere psychologische Spannungsfelder, die stärker auf einer unbewussten Ebene angesiedelt sind: Beim Putzen lebt sich eine Grundaggressivität aus, es dem Schmutz einmal richtig zu zeigen. Marken wie „Der General“ (Putzgefechte, Bodenoffensiven) oder „Domestos“ (Ausrotten der Keime) sprechen dieses Motiv auf unbewusster Ebene besonders an. Erwischt man sich jedoch dabei, sich in den Putzrausch hineinzusteigern oder gar dem Putzfimmel zu erliegen, steuert man dagegen: Das Putzen soll sich in die Alltagsrhythmen einfügen und wird in pragmatischen, auch kompromisshaften Putzritualen eingebunden. Auf diesen Motivzug spielt die Kommunikation an, wenn Leichtigkeit, Sofort- und Zauberwirkung der Putzmittel ausgelobt wird (z.B. der Sofort-Glanz von Swirl).
Ein drittes Spannungsfeld der Produktverwendungsform Putzen umschreibt das Verhältnis von Ausrüstung und Idealen: In Form der Putzmittel stattet man sich mit Orientierungs- und Leitbildern aus, die einen gelungenen Gesamtumgang mit dem lästigen Putzthema vermitteln. In diesem Kontext erschließt sich aus der morphologischen Motivanalyse auch die starke Macht der Marken. Der bereits angesprochene „General“ vermittelt ein besonderes Stärke-Gefühl, eine Marke wie „Ajax“ oder „Meister Proper“ verspricht sorgenfreies Delegieren an die Putzmittelpower, „Frosch“ setzt dagegen auf kompromisshafte Rückzugsgefechte, die mit einem Öko-Ideal legitimiert werden.
Das Beispiel „Produktverwendung Putzmittel“ und die Einordnung der Marken zeigt den besonders praktischen Mehrwert der morphologischen Markttheorie. Auf Basis der methodischen Rekonstruktion der inhärenten psychologischen Motivspannungen lässt sich die Fülle der Phänomene nahezu lückenlos in ein Gesamtbild einordnen. Damit erreicht die Morphologische Theorie jenseits von der Subjektivität eines Forschers oder Marketing-Verantwortlichen, dass die Definition von Marktsegmenten, die Bestimmung von Markenpositionierungen oder die Entscheidung für Kommunikationsrichtungen auf einem soliden qualitativen Insight-Fundament getroffen werden.
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Die morphologische Marktpsychologie vermittelt selber zwischen Tradition und Neuerung. Als sie erstmals in den 80-er Jahren die qualitative Marktforschungsszene in Deutschland betreten hat, hat die Morphologie das Gedankengut der tiefenpsychologischen Motivforschung wiederbelebt, das schon die Werbe- und Marketingszene in den USA in den 50-er und 60-er Jahren stark geprägt hat. Inzwischen hat die Morphologische Marktpsychologie eine Vielzahl von Analyse- und Rekonstruktions-Tools entwickelt, die den Prozessen des strategischen und operativen Marketings in enger Abstimmung zuarbeiten: Analyse-Modelle für die Motiv-Insight-Forschung gehören ebenso dazu wie Segmentierungsmodelle sowie Marken- und Kommunikationsmodelle. Die Modelle sind inzwischen für zehn Branchen und dutzende Produktfelder weiter ausdifferenziert worden.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Morphologie zudem mit kulturpsychologischer und interkultureller Forschung beschäftigt, und damit das Feld des Trend-Marketings und internationalen Marketings bereichert. Inzwischen werden morphologische Studien nicht nur in Europa, sondern weltweit in allen Kontinenten durchgeführt. Mit seinem internationalen Netzwerk ist concept m in über 40 Ländern aktiv.
Und nicht nur in der Anwendung, sondern auch in der Theorieentwicklung erschließt sich die Morphologie laufend neue Horizonte. Die „offene Morphologie“ hat sich mit verwandten Theorie-Ansätzen wie der Semiotik, der Ethnologie und auch der Neuropsychologie ausgetauscht– immer mit dem Anspruch: „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie, die lebendig und undogmatisch bleibt, und sich in einer verändernden Welt bewährt.“
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