Deutschland wird grüner. Zumindest im Kopf.
Denn die tiefenpsychologischen Interviews unseres Deutschland- Psychogramms sagen aus: Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind für den Mainstream der deutschen Bevölkerung sehr relevante Themen. Dass prinzipiell eine Notwendigkeit für einen umfassenden Umbau von Wirtschaft und Konsumalltag besteht, trifft auf breite Zustimmung.
Der "paradoxe Konsument" von heute will beides: Sowohl umsteuern als auch weiter so wie immer. Nach der Devise: "Wasch mich, aber mach mich nicht nass!"
Dementsprechend klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander:
Fernreisen, SUVs und in Plastik eingeschweißtes veganes Essen sind für viele kein Widerspruch zum Klimaschutz.
Unsere Analysen zeigen, dass sich der Mainstream der Bevölkerung in einer Komfortzone von "Feelgood"- und "Forgiveness-Momenten" eingerichtet hat: Man fühlt sich gut mit gelegentlichen guten Taten wie beispielsweise ab und zu kein Fleisch essen ("Feelgood"). Andererseits will man sich nicht andauernd für unökologisches Verhalten schuldig fühlen („Forgiveness").
In dieser Lage hätte die Politik die Aufgabe, eine motivierende und verbindende gesellschaftliche Erzählung voranzutreiben, die die Bevölkerung zu mehr Konsequenz und Entschiedenheit motiviert. Das Narrativ der „Fortschrittskoalition“ stand zu Beginn der Ampel für eine gewisse Aufbruchstimmung in dieser Richtung.
Die unterschiedlichen Narrative der Parteien wirken auf die Bürger widersprüchlich und bremsen sich gegenseitig aus. Wo durch Führung eine entschiedene Ausrichtung vorgegeben werden sollte, wird aktuell durch ein umfassendes "Double-Bind" eine komplette Blockade induziert.
Mit "Double-Bind" bezeichnet die Psychologie den Mechanismus, Orientierung und Handlungsfähigkeit dadurch lahmzulegen, dass man das
Gegenüber mit zwei paradox widersprüchlichen Aufforderungen konfrontiert – beispielsweise in gestörten Paar-Beziehungen: "Gib mir deine Zuwendung" vs. "Lass mich in Ruhe".
Die Bürger erleben das aktuelle "Double-Bind", das von der Politik ausgeht, in vielfältiger Weise:
Unsere Tiefeninterviews zeigen: Eigentlich besteht bei der Mehrheit der Bevölkerung die Bereitschaft, sich solidarisch dafür einzusetzen und nach den vielen Ankündigungen in die Phase der entschiedenen Nachhaltigkeits- Transformation einzutreten. Das Bewerkstelligen des Umbaus setzt aber Konsistenz, Kompetenz und Können auf Seiten der politischen Führung voraus. Das Bild, das die Regierung den Bürgern zurzeit vermittelt, stiftet dagegen mehr Verunsicherung als Orientierung.
Weil unter den gegebenen Widersprüchen und „Double-Bind-Strukturen“ kein schlüssiger Umbauprozess in Gang kommt, ziehen sich die Bürgerinnen und Bürger in ihre individuelle Komfortzone zurück. Bei dem, was womöglich an neuer Nachhaltigkeits-Bürokratie auf einen zukommt, handeln sie nach der Devise: "Durchmogeln und rette sich wer kann". So bemerkte ein Interview- Partner, dass er die Idee hatte, sein Haus auf seine 85-jährige Mutter umzuschreiben, um in den Genuss der neuen Ausnahmeregeln für Altbausanierung und Wärmedämmung zu kommen
Unser Rat: Die Regierung sollte die Kraft haben, sich auf entschiedene und schlüssige Nachhaltigkeitskonzepte zu verständigen.
Der Effekt dieser Politik der Widersprüche ist übrigens nicht viel anders als bei der „Letzten Generation“, die nach unseren Interviews dem Klimaschutz auch eher schadet als nützt.
Dieser Text erschien zuerst auf The Pioneer (https://www.thepioneer.de/originals/thepioneer-expert/articles/gruen-reden-aber-nicht-leben)