"concept m"-Studie zu Diäten – Alles nur Seelenkosmetik?

26.02.2018
Dirk Ziems

Psychologischer Blick aufs Abnehmen: Von drei Diät-Typen hat nur einer Erfolg In vier Wochen zur Bikini-Figur!

Endlich abnehmen mit neuer Gemüse-Diät! So werden Sie Ihre überflüssigen Pfunde wirklich los! Zum Frühjahr locken die Medien wieder mit angeblich neuen Methoden zur Körperkorrektur, die von deren Konsumenten offenbar für erforderlich gehalten werden. Die Ankündigung der Diäten hat einen fast schon rituellen Charakter: Mehr oder minder tiefgreifende Änderungen des Ernährungsregimes sind mittlerweile ein so selbstverständlicher Teil des Alltags geworden, dass deren psychologischen Mechanismen kaum noch hinterfragt werden. Doch der Blick auf das Motivationsgefüge hinter Diäten fördert überraschende Einsichten zu Tage, wie eine Studie des Marktforschungsunternehmens concept m (Köln/Berlin) beweist.

Der Untersuchung zufolge ist die angestrebte Gewichtsreduktion in aller Regel nur die Oberfläche dessen, was die Menschen tatsächlich bewegt. Schön frühkindliche Erfahrungen mit Versorgung sind entscheidend und prägen unseren Bezug zu „Satt sein“ und „Hungern“. Insgeheim hoffen die Menschen beim Essen auf eine funktionierende Selbstregulation, die es einem erspart, jedesmal, wenn man seinen Essgelüsten nachgeben möchte, über die Folgen nachdenken zu müssen.

Es gibt einen scheinbar selbstverständlichen Kreislauf von Hunger und Nahrungsaufnahme. Doch dieses idealisierte Bild eines sich selbst regulierenden Organismus ist im modernen Leben einer Vielzahl von Störungen ausgesetzt, auf die der Mensch reagiert – im Bereich der Ernährung dann, indem er bewusst gesund oder ungesund isst, indem er Zusätzliches zu sich nimmt (Nahrungsergänzungs- oder Genussmittel), oder indem er die Menge der Nahrung variiert. Die Alltagssprache kennt eine Fülle von Redewendungen, die den Zusammenhang zwischen Störung und Ernährung andeuten: „Kummerspeck“, „das schlägt auf den Magen“, „sich eine dicke Haut zulegen“.

So manifestiert sich die Störung zunächst darin, dass die Körpermaße aus den Fugen geraten. Dieses sichtbare Ergebnis – zu viele Pfunde – ist nun das erste (und einfachste) Ziel, das attackiert wird, um einen idealisierten Urzustand wieder zu erreichen. Jeder nicht medizinisch induzierten Entscheidung, eine Diät zu beginnen, geht psychologisch die Einsicht voraus, dass ein idealisiertes Gleichgewicht der Physis aus der Balance geraten ist. Nun soll ein „gesundes Maß“ wiederhergestellt werden.

Die Frage, wie nachhaltig die Folgen einer Ernährungsumstellung sind und ob die angestrebten Ziele damit auch dauerhaft erreicht werden, hängt allerdings entscheidend davon ab, welche innere Einstellung die Diät-Teilnehmer zu den zugrundeliegenden Störstellen haben. Die Studie hat drei unterschiedliche Diät-Typen ausmachen können. Nur einer davon hat nachhaltigen Erfolg. In den meisten Fällen liefert das Diät-Vorhaben nur Kosmetik für die Seele.

Typ 1: Die Diät selbst ist die (temporäre) Lebensumstellung

Viele Menschen, die sich aus freien Stücken zu einer Diät entschließen, betrachten das neue Ernährungsregime selbst schon als Lebensumstellung. Kennzeichnend für diese Gruppe ist, dass das veränderte Essverhalten meist nur für einen begrenzten Zeitraum durchgehalten wird und danach die alten Muster wiederaufgenommen werden. Häufig werden eigene Regeln aufgestellt („Thunfisch-Diät“ z. B.), die zum einen jederzeit angepasst und außerdem auch wieder außer Kraft gesetzt werden können.

Immer wieder führt man neue Diäten durch – und erhält sich auf diese Weise einen Status quo, der im Pendeln zwischen einem „ungesunden“ und einen „gesunden“ Modus besteht. Dieses Jojo-Dasein kann einen Selbstzweck entwickeln und aus dem stetigen Wechsel der Zustände sogar eine gewisse Stabilität ableiten. Grundlegende Störfaktoren werden jedoch nicht angetastet, der (möglicherweise) anstrengende Blick auf die Umstände, die das Übergewicht verursacht haben, bleibt aus.

Typ 2: Die Diät stößt die Lebensumstellung an

Bessere Chancen auf eine dauerhafte Gewichtsabnahme hat derjenige, der den Verzicht nur als ersten Schritt einer grundsätzlichen Anpassung der Lebensgewohnheiten betrachtet. Die Essensumstellung wird oftmals verknüpft mit einem neuen Lifestyle (z. B. Veganismus), symbolisiert diesen und stößt weiter reichende Veränderungen an.

Für diese Menschen ist das Übergewicht der „Trigger“ für eine Umstellung des Ernährungsverhaltens, und diese wiederum soll die weitere Lebensumstellung stützend in Gang bringen. Die Essumstellung ist das Sinnbild der Lebensumstellung, was vielfach auch dementsprechend freundvoll kommuniziert wird: „Woran erkennt man einen Veganer?“ – „Er sagt es einem.“ Die schnell sichtbaren körperlichen Fortschritte wirken beflügelnd für ein weiteres Eingreifen. Rückschläge allerdings können auch den gesamten Umgestaltungsprozess lahmlegen.

Typ 3: Die Lebensumstellung selbst steht im Fokus, die Diät begleitet sie nur

Insbesondere ein massives Kränkungserleben – körperliche Einschränkungen, verheerendes soziales Feedback – lässt die Einsicht reifen, dass es mit einer Umstellung der Ernährung allein nicht getan ist, sondern dass das gesamte Leben neu organisiert werden muss. In diesen Fällen begleitet die Diät nur die grundsätzliche Neuausrichtung der Lebensgestaltung, oder sie ist sogar nur ein Nebenprodukt, das sich zwangsläufig einstellt, wenn in einer neuen Beziehung der Alltag verändert wird, wenn neue Freizeitaktivitäten aufgenommen werden oder wenn der Beruf gewechselt wird. Die gleichen Effekte können sich auch einstellen, wenn im bisherigen Umfeld die neuen Themen in den Vordergrund gerückt werden. Charakteristischer aber sind auch im sozialen Umfeld deutlich sichtbare Umbrüche.

Wenn die Frau oder der Mann die Ernährung nur als Symptom einer grundsätzlichen Fehlentwicklung betrachtet und das Problem an der Wurzel packt, sind die Erfolgsaussichten für eine Diät am größten, weil die umfassende Neuorientierung die Veränderungen in der Ernährung in einen kulturellen Zusammenhang einbettet und absichert.

Allen drei Diät-Typen ist gemeinsam, dass sie in Bezug auf ihren Körper das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen wollen. Wo zuvor Geist und Körper als divergierende Kräfte wahrgenommen wurden, wird nun wieder eine als gesund angesehene Einheit angestrebt. Zu diesem Prozess gehört auch, dass dieser nicht allzu leicht ablaufen sollte, weil eine solche, aufwandlose „Zauberdiät“ dann eher als „Selbstbetrug“ gewertet wird. Erst wenn man sich gequält hat, erscheint die Lebensveränderung auch als wirklich „verdient“.

Welches Selbstbild die Betroffenen von sich haben, zeigt sich in gewisser Weise an der Wahl der Diät: Wer beispielsweise einfach weniger isst („FDH“), traut sich mit viel Selbstbewusstsein zu, den eigenen Lebensstil zu regulieren. Die Wahl von Diätprodukten hingegen hilft Menschen, die gewissermaßen einen „Coach“ für das Abnehmvorhaben benötigen. Das eigene Genre der Zeitschriftendiäten wiederum zeichnet sich durch eine relativ geringe Ernsthaftigkeit aus, die allerdings durch eine rituelle Wiederholung überspielt wird.

Ohnehin ist die Begrenztheit ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz von Diäten ist. Im Gegensatz zu einer kompletten Umstellung des Lebens ist eine periodische Änderung von Gewohnheiten leichter mit dem Ego zu vereinbaren – allerdings mit der Folge einer deutlich schlechteren Erfolgsquote. Gewichtsziele alleine sind wegen der Unabsehbarkeit auch weniger convenient als temporär fixierte Diäten („14-Tage-Fett-weg-Diät).

Während der Diät sollte deutlich bleiben, dass ein Eingriff in gewohnte Abläufe erfolgt, beispielsweise durch das Zählen von Kalorien, durch das feste Einhalten eines Speiseplans und feste Essenszeiten (diese am besten kleinteilig segmentiert).

Außerdem ist typisch für den Start von Diäten, dass der Leidensdruck sich über einen längeren Zeitraum aufgebaut hat, bis eine „Störstelle“ so massiv wird, dass ein Eingriff unumgänglich erscheint. Zunächst allerdings besteht die Tendenz, das exzessive Essverhalten und das daraus resultierende Übergewicht so lange wie möglich zu verleugnen. Auch die (durchaus vorhandene) Freude am übermäßigen Genuss kann dazu beitragen, die Entscheidung zu einer Diät zu vertagen; schließlich ist die Flucht in das Essen zunächst auch Gegenreaktion auf die belastenden Umstände und wird mit positiver Stimmung konnotiert.

Der Umschlag, das Sich-Selbst-Eingestehen, dass es so nicht mehr weitergeht, folgt in der Regel auf einen bitteren Moment der Erkenntnis – wenn man sich selbst auf neuen Fotos distanziert wahrnimmt, oder, ganz banal, wenn das geliebte Kleidungsstück nicht mehr passt. Typische Auslöser sind auch ein massives Kränkungserleben durch abwertende Äußerungen aus dem Freundes- oder Familienkreis, nicht mehr zu kaschierende körperliche Beeinträchtigungen oder ein als gravierend empfundener Verlust an (gesellschaftlichen) Auftrittsmöglichkeiten.

Nicht immer löst dieser Moment der Erkenntnis zwangsläufig eine Diät aus, der Umschlag kann auch in Richtung Anpassung an die neuen Verhältnisse erfolgen. Die übergewichtigen Menschen können die eigenen Maßstäbe ändern („fat is beautiful“), sich eine neue Garderobe (und damit einen neuen Stil) zulegen oder sich „ein dickes Fell zulegen“. Was aber hebt den Leidensdruck über Schmerzschwelle? Vor allem drohende oder tatsächlich eingetretene Verluste sind wirksam, um eine Diät einzuleiten. Mögliche Felder für diese Verluste sind Partnerschaften, Beruf und Freizeitgestaltung.

Von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz einer Diät sind die Bilder, die man sich von der Zukunft (mit reduziertem Gewicht) zu machen imstande ist. Gewichtsziele sind nur ein Provisorium, die stärkste Zugkraft entfalten lockende Bilder, in den man sich schön und schlank fantasieren kann bzw. alte Motive, die an den angestrebten Urzustand erinnern (allerdings ist deren Wirkung mitunter ambivalent, weil sich dieser Zustand wegen geänderter Lebensumstände nicht mehr erreichen lässt). Ermangelt es grundsätzlich an positiven Bildern, können Negativbeispiele („So nicht!“) ein Ersatz sein.

Ein Artikel zu der Studie erschien bereits am 20. Februar bei apotheke adhoc.

Ansprechpartner:

Rochus Winkler Co-Founder and Shareholder concept m
Rochus Winkler
rochus.winkler@test.local

Dirk Ziems
Dirk Ziems ist Experte für tiefenpsychologisches Marketing und berät auf Basis von Markt-, Medien- und Kulturforschung weltweit Unternehmen und Konzerne in zahlreichen Branchen und Ländern. Als Mitbegründer der Global Research Boutique Concept M und der Marketingberatung Flying Elephant begleitet er Themen wie die Adaption von Erfolgsprodukten in neuen kulturellen Kontexten, das tiefe Verständnis neuer Konsumgenerationen in China und USA, die Transformation der Werbekommunikation in der neuen digitalen Medienwelt oder die Neuorientierung der Brands in Post-Corona-Zeiten. Dirk Ziems ist auch als Gastdozent an verschiedenen Universitäten tätig.
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