Interview im RBB radio eins am 26.April2023
Marco Seiffert:
Mit dem Auto in Berlin unterwegs sein, das konnte in den vergangenen Tagen zur Geduldsprobe werden und kann es auch heute. Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten der sogenannten Letzten Generation hatten immer wieder gezielt Straßen blockiert und mit ihren Aktionen lange Staus hervorgerufen. Vielen Autofahrern fehlte dafür jedes Verständnis: „Ich habe für ihr Anliegen Verständnis, aber für die Art und Weise überhaupt nicht. Es geht nicht an, dass irgendwelche selbsternannten Weltretter glauben den deutschen Staat erpressen zu dürfen“.
Wir haben in den vergangenen Tagen ja schon mehrfach über die Protestierenden gesprochen, es gab von den Gesprächspartnerinnen und - partnern zum Teil deutliche Kritik an den Aktionen.
Jetzt sprechen wir mal über die Blockierten und deren Wut und Frust, und zwar mit dem Psychologen und Gesellschaftsforscher Dirk Dirk Ziems vom psychologischen Marktforschungsinstitut concept m. Guten Morgen Herr Ziems.
Dirk Ziems:
Guten Morgen.
Reden wir erst mal allgemein über Stau: was passiert mit uns psychologisch, wenn wir im Stau stehen?
Dirk Ziems:
Ja, Staus sind immer eine Nervenprobe, denn beim Autofahren ist man ja so in der Form drin im Fluss sein, durchkommen, man will ja weiterkommen. Und das wird durch den Stau eben jetzt abrupt unterbrochen, ohne dass man wirklich in eine andere Form reinkommt, also umschalten kann in was anderes. Das macht dann so den aufgestauten Frust aus. Und der Frust, der muss im Prinzip irgendwie raus. Und da gehen Autofahrer unterschiedlich mit um; Die einen werden regelrecht cholerisch, rasten aus, fluchen, beißen ins Lenkrad. Anderen gelingt es, sich in eine Art Selbsthypnose zu begeben und so kontemplativ weg zu dösen, kann man sagen. Dann läuft das Programm verdiente Erholungspause, jetzt mal halblang.
Marco Seiffert:
Stau ist oft die Folge von Bauarbeiten oder weil Menschen unabsichtlich etwas falschgemacht haben und so einen Unfall verursacht haben. Bei den Aktionen der Letzten Generation ist das anders, da möchten Aktivisten mit voller Absicht, dass andere im Stau stehen. Vergrößert das Wut und Frust, wenn man weiß der Stau ist mit Absicht herbeigeführt worden?
Dirk Ziems:
Ja, das ist schon so. Also psychologisch gesehen braucht der Frust im Stau ja immer Sündenböcke. Also normalerweise wird dann geschimpft über andere Verkehrsteilnehmer oder halt über die Politik in Potsdam und Berlin, dass die da nicht weiterkommen und immer wieder Baustellen und alle ärgern sich. Die Sündenböcke helfen, um mit dem eigenen Frust klarzukommen. Und jetzt die Klimaaktivisten – wir haben das ja gerade in dem Zitat gehört da in dem O-Ton – die geben da jetzt natürlich eine Zielscheibe ab, „mutwillig erpressen die mich hier“, und das steigert die Wut ganz klar.
Marco Seiffert:
Alle Umfragen zeigen ja die Mehrheit lehnt die Blockaden der letzten Generation ab, viele sind genervt von der „es ist fünf nach zwölf“- Erzählung, aber wären die Menschen im Stau wirklich entspannter, wenn sie die Proteste sinnvoll fänden?
Dirk Ziems:
Also wir haben in unseren Interviews festgestellt es gibt so einen kleinen Teil der Autofahrer, der hat Verständnis. Die nehmen das hin und sehen die eigene Geduld wie so eine Art Ablasshandel. Also so „ich selber fahre ja Auto, da tu ich dem Klima ja eigentlich schaden, aber jetzt habe ich ja Verständnis gezeigt und bin gar nicht so wütend geworden, also im Prinzip bin ich damit ja auch auf der Seite der Klimaaktivisten“. Aber so eine Haltung ist ganz klar die Minderheit. Die meisten sind genervt und die Frustdynamik der Stau- Situation wird dann zum Selbstläufer.
Marco Seiffert:
Nichts rechtfertigt ja Selbstjustiz, wenn jetzt einzelne Autofahrer ganz vorne stehen und ausrasten, was raten Sie, damit in so einer Situation die Emotionen eher wieder runtergefahren werden?
Dirk Ziems:
Also ich würde schon raten, also wenn das sich radikalisiert, wir haben ja da so Szenen gehört, dass einzelne Autofahrer ausgestiegen sind und die Klimaaktivisten da malträtiert haben, da sollte man als Autofahrer da schon auch aussteigen und einschreiten. Also das bietet, glaube ich, auch so die Zivilität an.
Marco Seiffert:
Ich bin jetzt eher noch bei dem, der selber ausrastet. Also würden Sie sagen „idealerweise verlass das Auto nicht, sonst verlierst Du die Kontrolle über deine Emotionen?“
Ja, auf jeden Fall. Also es wichtig grundsätzlich von Stau auszugehen, sich vielleicht so ein paar Ablenkungsrituale zurecht zu legen. Also wenn der Stau kommt einen bestimmten Song von der Playlist, jemanden anrufen, um sich selbst zu beruhigen. Das sind so die Sachen, die einen da vielleicht so ein bisschen runterbringen können.
Marco Seiffert:
Sie haben Ihre Diplomarbeit über Stau geschrieben, was fasziniert Sie so an diesem im Prinzip unerfreulichen Thema?
Dirk Ziems:
Naja, der Stau ist halt ein schönes Thema, weil was man da beim Autofahren sieht, das spielt ja auch bei allen möglichen anderen Themen eine Rolle, wenn sich Frust aufstaut. Und dann kann man eigentlich lernen, prototypisch, was so Frustabbau ist.
Marco Seiffert:
Auf jeden Fall ein Experte in diesem Thema im Bereich Wut und Frust angesichts von Klimablockaden. Darüber haben wir mit dem Psychologen und Gesellschaftsforscher Dirk Dirk Ziems gesprochen. Vielen Dank, Herr Dirk Ziems. Alles Gute.