10 psychologische Praxistipps zur Shop- und Sortimentsgestaltung

01.06.2017
Dirk Ziems

Rochus Winkler: „Glücklicherweise ist trotz der Synthese von Online/Offline Shopping der vor Ort Einkauf am POS noch nicht aus der Mode geraten. Hier einige psychologische Kniffe, die Sie kennen sollten!“

1. Haben Sie immer das große Ganze im Blick

Die kommunizierte Atmosphäre und die Gesamtanmutung wirken beim Kauf vorentscheidend. 

Der Kunde hat zumindest unbewusst immer ein Gesamtbild vom Ladengeschäft, vom Regal, etc. – und das immer durch die Brille seiner vielschichtigen Verbraucherseele. Sobald man ein Geschäft betritt, packt einen die Gesamtatmosphäre des Vollsortimenters, Discounters, des Feinkostgeschäfts u.a. und bewirkt unser Verhalten. Wie hochwertig oder günstig ein Produkt erlebt wird, hängt nicht nur vom Preis allein ab sondern von der „Atmosphäre“.

2. Lassen sie sich nicht von der simplen „Reiz-Reaktions-Denke“ verführen

Auch wenn es noch so reizvoll scheint: Isolierte Anreize funktionieren nicht. 

„Man muss Anreize schaffen“, das ist schnell und allzu leicht daher gesagt. Wenn wir etwas wahrnehmen, werden nicht einfach Reize auf unserer Netzhaut abgebildet und ins Gehirn gesendet. Wir produzieren immer Gestalten, die wir mit einer Bedeutung versehen. Anders gesagt: Wir erleben alles durch unsere Sinne – und geben deshalb allem sofort einen Sinn (auch wenn es Blöd-Sinn ist).

Besonders eindrücklich lässt sich dies bei der Betrachtung so genannter Kippbilder erfahren (z.B. das von junger und alter Frau): Wir können im selben Augenblick stets nur eine Figur vor einem Grund sehen. Wenn die andere Figur gesehen werden soll, kippt die Deutung schlagartig um. In der schlichten Reiz-Denke dürften wir eigentlich nur unorganisierte, schwarze und weiße Flecke wahrnehmen – schon gar nicht einen Bedeutungsumschlag.

3. Vergessen Sie nie: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Im Erleben setzen wir alle Elemente zu einem Ganzen zusammen – und darin ist auch enthalten, was man nicht sieht (z. B. Unbewusstes).

Der Zusammenschluss von erlebten Teilen zu einer erlebten Ganzheit erfolgt nach Gesetzmäßigkeiten, deren oberstes Prinzip die Übersummativität ist. 1+1 ergibt im seelischen Zusammenhang mindestens 3.

Ein Beispiel: „1000 Dinge unter einem Dach“ kann für den Verbraucher ein Konsum-Tempel, ein Schlaraffenland, eine Lagerhalle, ein Ramschladen oder ein labyrinthischer Hindernisparcours sein – auf jeden Fall mehr und anderes als ein großes Angebot. Es kommt immer darauf an, wie das Warenangebot – auch in der Wahrnehmung – organisiert wird. Der Verkaufsraum, auch wenn er noch so durcheinander sein sollte, ist eben kein Sammelsurium oder eine Anhäufung von Reizen, sondern ein Seelen-Raum – oder genauer ein seelischer Wirkungsraum, der sich in Bewusstes und Unbewusstes gliedert.

So tat der Kaufhof sicher gut daran, sich als „Galeria“ zu bezeichnen: Der Name steht jetzt nicht mehr nur für kaufbare Vielheit auf einem Platz unweit einer Kaufhalle, sondern für einen durchgliederten, eher vornehm gestalteten und vororganisierten Kauferlebnisraum.

4. Achten Sie darauf, in welcher Nachbarschaft ihre Produkte wohnen

Bei der Produktplatzierung ist es wie mit einer Immobilie in der Stadt: Es gibt gute und schlechte Lagen.

Machen Sie sich bei allen Gestaltungen das Figur-Grundprinzip und das Gesetz der Nähe zunutze. Das Produktumfeld bestimmt als Grund mit, wie das eigentliche Produkt wahrgenommen wird. Wenn Sie ein hochwertiges Parfüm erfolgreich absetzen wollen, sollten Sie es nicht auf Europaletten im kalten Licht nackter Leuchtstoffröhren neben billiger Haushaltsware präsentieren. Durch ein exklusives Umfeld wird unbewusst der Wert eines Produkts gesteigert – ein billiges Umfeld wertet es ab.

5. Denken Sie immer in Gegensätzen – der Kunde ist widersprüchlich

Bei der Kaufentscheidung handelt der Kunde widersprüchlich, auch wenn es ihm nicht bewusst ist.

Haben Sie sich schonmal gefragt, warum es einen „Sahne-Joghurt Diät“ gibt? Psychologisch betrachtet, schlagen in der Brust des Kunden immer zwei Herzen – mindestens. Auf der einen Seite locken ihn Sehnsüchte, Herzenswünsche und Begierden. Auf der anderen Seite wirken Moral, Gewissen oder Vernunft hemmend. Gelungene Produkt-, Marken- oder Sortimentsgestaltungen schlagen eine Brücke zwischen diesen Welten, die der Käufer gerne beschreitet. Viele Süßwaren, die unter ernährungsphysiologischen Aspekten zweifelhaft sind, wählen diesen Ausweg und schlagen beispielsweise mit der „Extra-Portion Milch“ dem Gewissen ein Schnippchen.

Da drücken selbst strenge Mütter mal ein Auge zu. Was für die Süßigkeiten im Kleinen, gilt auch für die Gestaltung eines Geschäfts im Ganzen: Die Kargheit der Atmosphäre eines Discounters erweckt den Eindruck, hier gehe es nicht um die nächste Einkaufsorgie, sondern nur um die berechtigte Grundversorgung.

6. Geben Sie dem Kunden Navigationshilfe

Appellieren Sie nicht hemmungslos an Triebe oder Bedürfnisse, sondern sorgen Sie mit „Leuchttürmen“ dafür, dass der Kunde sich orientieren kann.

Wenn Sie für den Kunden ein konsequentes Management zwischen Verführung und Berechtigung betreiben, kommen Sie weiter, als wenn Sie einfach nur an enthemmende Lust und Gier appellieren.

Gefragt sind Vermittlungen, die den Kauf rechtfertigen, obwohl es Einwände gibt.

Beispiel Süßwarenverkauf: Die Konsumenten haben in der Regel bereits ohnehin eine starke „kindliche Gier nach Süßem“, die nicht noch zusätzlich angefacht werden muss. Besonderes Augenmerk benötigen statt dessen die entgegenwirkenden erwachsenen Bezähmungen. So kann ein tailliertes Display für Riegel als „Leuchtturm“ wirken und im ausufernden Angebotsmeer und durch die Form das Produktversprechen kommunizieren, dass dieser Genuss nicht dick macht.

7. Beitreiben Sie niveauvolle Segmentierung

Sortiments- und Produktpräsentation sollten nach dem Ideal von Einheit in der Vielfalt ausgerichtet sein.

Bei zu großer Einheitlichkeit – etwa durch eine dominante Farbe oder nicht genügend ausdifferenzierte Packungsformen – findet der Kunde sich vor einem Markenblock-Regal wieder, von dem er orientierungslos oder farbgeschockt abprallt.

Zuviel Segmentierung und unsystematische Produktindividualität hingegen wirken chaotisch – ein wertiger Markeneindruck kommt erst gar nicht auf oder die Produktwahl erscheint zu aufwändig.

Ein ideales Anschauungsbeispiel für den Ausbau einer Sortimentsarchitektur gibt die Marke Nivea. Die Marke arbeitet bei Ihrer Binnensegmentierung mit Farbabstufungen, Verpackungsformen und Inszenierungen, die bei aller Vielfalt die Markenidentität bewahren. Doch bei Farbcodierungen ist Vorsicht geboten. Sie werden bei Verpackungen oft eingesetzt, um bestimmte Produktkategorien zu signalisieren sowie kulturtypische Assoziationen und emotionale Reaktionen auszulösen. Doch gerade in Zeiten von Multi-Kulti und Globalisierung drohen Fettnäpfchen. Gelb steht je nach Hintergrund für Glück (Nähe zu Sonne, Gold) aufgeladen oder für Gefahr. In den USA und Großbritannien wird es mit Feigheit, in Japan mit Adelszugehörigkeit assoziiert.

8. Haben Sie keine Angst vor Paradoxien: Weniger ist mehr

Überladene Verkaufsräume können dazu führen, dass der Kunde möglichst schnell wieder raus will.

Ein geballtes, undifferenziertes Produktangebot kann erdrückend wirken – und im Kunden die Sehnsucht erwecken, das Ladenlokal möglichst schnell wieder zu verlassen.

Vielleicht kennen Sie „die traurige Geschichte vom hungrigen Zucker-Hai“: Er fährt vom ’Hai-Way’ ab und will noch tanken, bevor er sein Ziel erreicht hat. Aber nicht nur das Auto hat Durst. Der Fahrer steuert die nächste Tankstelle an und geht in den Store. Hier sieht er nur Durcheinander und einen Wald von Preisrabattschildern – von der Discount-Atmosphäre enttäuscht und verwirrt stößt er gleich zur Kasse vor – dort steht er vor einem unübersichtlichen Bauchladen an Süßigkeiten, die Theke ist vollgestellt (Schwarm der Süßigkeiten) – sein überstrapazierter Süßappetit kapituliert und er schnappt nicht zu.

Die Lust, sich in aller Ruhe nach anderen Leckereien umzusehen ist ihm erst recht vergangen. Hungrig und durstig steuert er stattdessen einen neuen, modernen SB-Markt an. Sortimentsreduzierung, -gliederung und Akzentuierungen mit kleinen Produktinseln hätten ihn sicher eher zu einem freudvollen Jagdzug eingeladen.

9. Bedenken Sie, dass der Verbraucher kein kühler Rechner ist

Der Verbraucher und die seelische Mathematik.

Der Käufer rechnet nach gestalthafter Logik, und die funktioniert nicht so wie die mathematische Logik aus dem Schulunterricht.

Ein Beispiel dafür sind die vielen „Zusatzmengen“, die scheinbar kostenlos dazugegeben werden – hier 10 Prozent mehr, da 50 Gramm extra, dort zwei Wäschen gratis dazu. Die simple Logik sagt, dass für eine Gesamtmenge ein Gesamtpreis bezahlt wird.

Doch im Auge des Verbrauchers stellt sich dieser Sachverhalt anders dar: Der Aufdruck „18 + 2 Wäschen“ auf einer Waschmittelpackung erscheint günstiger als 20 Wäschen zum gleichen Preis – das Bewusstsein freut sich über die Botschaft des „Schnäppchens“, und die überlagert die faktische Realität.

10.  Wenn Sie etwas Teures verkaufen wollen, stellen sie es neben Teureres

Auch die Preisbewertung geschieht nach dem Gesetz von Figur (Einzelpreis) und Grund (Preisumfeld) – es zählt, welche Preise in der Nachbarschaft anzutreffen sind.

Wenn Sie etwas Teures verkaufen wollen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder stellen Sie es neben Noch-Teureres, oder Sie platzieren es zwischen einem preisgünstigen und einem teuren Produkt.

Wenn Kunden die Auswahl zwischen zwei mehr oder minder gleichwertig erscheinenden Produkten (zum Beispiel Weinflaschen) haben, entscheiden sie sich in neun von zehn Fällen für das günstigere Produkt. Stellt man nun ein weiteres Produkt dazu, verändert sich das Koordinatensystem der Konsumentenwahrnehmung, das kein absolutes, sondern ein relatives ist. Durch die Hinzustellung des dritten Produkts erscheint das ursprünglich teuerste Produkt nun deutlich günstiger – und es gibt dem Kunden die Möglichkeit, eigenen Veredelungsphantasien nachzugeben (nicht immer das Billigste kaufen), ohne verschwenderisch zu wirken (das teuerste Produkt blieb ja im Regal stehen).

 

Ansprechpartner:
Rochus Winkler
Co-Founder and Shareholder
rochus.winkler@test.local

 

 

Dirk Ziems
Dirk Ziems ist Experte für tiefenpsychologisches Marketing und berät auf Basis von Markt-, Medien- und Kulturforschung weltweit Unternehmen und Konzerne in zahlreichen Branchen und Ländern. Als Mitbegründer der Global Research Boutique Concept M und der Marketingberatung Flying Elephant begleitet er Themen wie die Adaption von Erfolgsprodukten in neuen kulturellen Kontexten, das tiefe Verständnis neuer Konsumgenerationen in China und USA, die Transformation der Werbekommunikation in der neuen digitalen Medienwelt oder die Neuorientierung der Brands in Post-Corona-Zeiten. Dirk Ziems ist auch als Gastdozent an verschiedenen Universitäten tätig.
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